heidenheit blickt er an diesem Tag zufrieden auf ein Lebenswerk zurück, das ihm an seiner Wiege und auch noch viele Jahre später niemand zu prophezeien gewagt hätte.Hans Gisler wuchs als drittes von 14 Kindern auf der Liegenschaft Schmidigberg, hoch in den Spiringer Bergen oben, auf. Er bewundert heute noch seine Eltern, denen es gelang, Hunger und Not fernzuhalten, obwohl es damals kaum Subventionen und schon gar nicht Kinder- und Familienzulagen gab. Nach sieben Jahren Primarschule, die damals noch durch gut bemessene Ferien von Mai bis Oktober unterbrochen worden waren, hätte er gerne studiert, um Priester zu werden. Der besorgte Vater fand aber, als eines der ältesten Kinder sollte Hans etwas zum Unterhalt der Familie beitragen. So diente er nun während sieben Jahren zuerst als junges Knechtli und bald schon als kräftiger Dienstbote bei verschiedenen Meistersleuten in Uri und in Nidwalden. Drei Sommer lang war er Zusenn auf Glarner Alpen, so wie es damals Dutzende von jungen Schächentalern Sommer für Sommer taten.
Es war eine wahrhaft schicksalhafte Fügung, dass Hans Gisler eines Sonntags nach dem Besuch des Gottesdienstes in Bürglen auf dem Rückweg in die Schächenmatt dem Latein- und Griechischlehrer am Kollegium, dem legendären Pater Gall Jeker, begegnete, der nach einer Sonntagsaushilfe in Attinghausen wieder dem Schächengrund zustrebte. Der leutselige Pater Gall sprach den jungen Kirchgänger an, der dann im Verlauf des Gespräches erwähnte, dass er eigentlich hätte studieren wollen, es aber jetzt zu spät sei. Pater Gall meinte, es gäbe ja auch Spätberufene, und finanzieren lasse sich das Studium schon irgendwie. Und tatsächlich trat der nun schon gut 20 Jahre alte Jungmann im Herbst 1930 in die 1. Lateinklasse des Kollegiums ein. Was musste es für ihn bedeutet haben, sieben Jahre nach der von den Lehrschwestern zwar wohl geführten, aber doch schmalen Primarschule und nach bereits absolvierter Rekrutenschule wieder die Schulbank zu drücken, zusammen mit grün bemützten Studentlein, für die es selbstverständlich war, dass sie studieren konnten.
Das Studieren fiel Hans Gisler trotz natürlicher Intelligenz nicht mehr leicht. Nicht leicht war aber auch die Finanzierung des Studiums. Die Stipendien waren damals und noch lange Jahre später minim. So musste er denn eine erste Möglichkeit nutzen, die damals unter der Bezeichnung Kollektieren bekannt war: Mit einer Empfehlung konnte ein Student zu den Leuten gehen und um einen Beitrag bitten. Heute meint der Jubilar, es sei eine Lebensschule gewesen. Das galt ebenso für eine weitere Finanzierungsmöglichkeit, die er in Anspruch nehmen musste: Studenten, die nicht daheim leben konnten und sich das Internat im Kollegium nicht leisten konnten, erbaten sich sogenannte Kosttage, das heisst sie konnten an jedem Wochentag zu einer anderen Familie zum Essen gehen. Unter solchen Umständen zu studieren, setzte ein hohes Berufsziel und einen eisernen Willen voraus, für Selbstmitleid blieb da kein Platz.
Hans Gisler, den seine Mitstudenten liebevoll und fast hellseherisch Giovanni nannten, bestand 1937 - allen Schwierigkeiten zum Trotz - die Maturitätsprüfung. Nun ging er für ein Jahr nach Italien ins Priesterseminar Mailand/Venegono, wo die Schweizer seit Karl Borromäus zwei Freiplätze haben. Weitere drei Jahre lang studierte er, unterbrochen von Aktivdiensttagen, in Chur, wo er am 6. Juli 1941 zum Priester geweiht wurde. Eine Woche später feierte er, begleitet von seinem hoch verehrten Geistlichen Vater, Kommissar Karl Gisler, Pfarrer in Altdorf, in Spiringen seine Primiz. Am gleichen Tag wählten ihn die Attinghauser zu ihrem Pfarrhelfer, wo er bis 1947 begeistert und begeisternd wirkte. Dann aber holten ihn die Bürgler in die stolze, aber strenge Pfarrei am Eingang seines heimatlichen Schächentals. Fünf Jahre lang amtete er als sogenannter Riedertaler Kaplan, dann während zehn Jahren als Pfarrhelfer und schliesslich von 1962 bis 1982 als Pfarrer. Hier konnte er sich voll entfalten.
Grösste Beachtung schenkte der spätberufene Theologe der Verkündigung des Wortes Gottes in der Kirche und in der Schule. Er hielt in seinen 60 Priesterjahren um 3 000 Predigten, die er nicht etwa aus dem Ärmel schüttelte, sondern überaus seriös erarbeitete. Das machte ihn zum gern gehörten Prediger, der etwas zu sagen hatte und dies ohne Manuskript, klar und deutlich und mit Überzeugung, verkündigte. Seine Predigtsammlung stellt ein echtes Zeitdokument dar. Neben der allgemeinen Pfarreiseelsorge lagen ihm die Kinder und die Jungmänner ganz besonders am Herzen. Liebe sei sein Rezept gewesen, sagt der Mann mit der manchmal vielleicht etwas hart scheinenden Schale. Und auch heute noch wird eine lärmende Kinderschar unter seinem Balkon nicht etwa übellaunig fortgeschickt, sondern im Gegenteil mit einer Tafel Schokolade aus der Höhe beglückt!
Viel bedeutete dem Jubilar der Bau der Bergkapelle auf dem Biel. Hier und auch bei den vielen Gottesdiensten auf den Eggbergen und auf Galtenebnet kam seine tiefe Verbundenheit mit den Bergbewohnern und Älplern wieder voll zum Tragen. Und wenn es anschliessend jeweilen einen Jass gab, war er auch da mit vollem Einsatz dabei, seine Brissago weder am brennenden noch am feuchten Ende schonend.
Im Jahre 1973 wurde der Bürgler Pfarrherr von Bischof Johannes Vonderach in Absprache mit dem Regierungsrat als Nachfolger des zum Generalvikar berufenen Gregor Burch zum Bischöflichen Kommissar ernannt. Die Bischöflichen Kommissare waren seit 1558 die Verbindungsmänner zwischen den Ständen und dem Bistum Konstanz und später Chur. Sie waren aber auch die führenden Männer im örtlichen Klerus. Johann Gisler geht als 22. und letzter Bischöflicher Kommissar in die Geschichte ein. Andere Zeiten, andere Organisationsformen. Pfarrer Johann Gisler war während zehn Jahren auch Mitglied des Erziehungsrates, wo er dank seiner grossen Erfahrung in der damaligen Umbruchzeit wertvolle Beiträge leisten konnte. Schon früher hatte er auf kantonaler Ebene als Präses der Jungmänner und als Bauernseelsorger gewirkt.
Nun lebt und wirkt der unermüdliche Seelsorger im Betagtenheim Gosmergartä in Bürglen und ist hier seinen alten Mitbürgerinnen und Mitbürgern ein verständnisvoller Begleiter auf ihrer letzten irdischen Wegstrecke. Sie und ungezählte Frauen und Männer jeglichen Alters, die diese aussergewöhnliche Persönlichkeit schätzen und lieben, danken ihm herzlich und wünschen, er möge noch viele Jahre lang den wohlverdienten Ruhestand in wohltuender, den Kräften angepasster Aktivität geniessen dürfen.
Josef Brücker