Auf der europäischen Wasserscheide

Vom Gotthard zum Aussichtspunkt auf der Kontinental-Wasserscheide, dem Giübin. Ein Schnuppertrekking auf dem Vier-Quellen-Weg.
30.09.2011
Wir starten unsere Wanderung auf der Gotthard-Passhöhe, 2106 Meter über Meer. Das Ziel ist der Giübin auf 2776 Metern über Meer. Der Giübin liegt östlich des Sellasees und ist ein herrlicher Aussichtspunkt auf der Kontinental-Wasserscheide. Diese zieht sich im Gotthardraum vom Lukmanierpass über den Giübin, den Pizzo Centrale und die Gloggentürmli zur Gotthard-Passhöhe und weiter zum Pizzo Lucendro, dem Furka- und dem Grimselpass. Auf der europäischen Kontinental-Wasserscheide muss sich jeder Regentropfen entscheiden, ob er dem Mittelmeer oder der Nordsee zufliessen will. An einigen Punkten dieser Wasserscheide führt auch der Vier-Quellen-Weg entlang. Wir benützen beim Aufstieg auf den Giübin diesen gut markierten Wanderweg und können damit gleichzeitig ein Schnuppertrekking auf dem Vier-Quellen-Weg erleben.

Dominieren im Passgebiet noch Granite, sind es auf der weiteren Wanderung Gneise, die das Landschaftsbild beherrschen. Nach 1 Stunde erreicht man den Sellasee. In den Jahren von 1945 bis 1948 wurde der See aufgestaut. Das Wasser des Sella- und des Lucendrostausees wird in der Zentrale Airolo genutzt. 1991 wurde für die Nutzung des Sellasees zusätzlich die kleine Zentrale Sella gebaut. Nach der Querung der Sella-Staumauer geht man knapp 100 Meter nach Osten, bevor der Weg, üppig rot-weiss markiert, kurz nach Süden abbiegt. Die nächste Abbiegung sollte man nicht verpassen. Der Weg zieht in östlicher Richtung in die Höhe, und das Wandern auf grasigen Wegen ist sehr angenehm. Immer mehr Gelände ist überschaubar, je höher man steigt.

Das Finsteraarhorn und der Galenstock beherrschen das westliche Panorama. Bauten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg begleiten uns auf der ganzen Wanderung. Gute Erinnerungen an vergangene militärische Outdoorerlebnisse wollen nicht so richtig aufkommen. Kälte, Nässe, Dosenkäse und schwer nachvollziehbare Befehle sind eher noch präsent. Warum hat man es damals verpasst, uns auf die vielen Schönheiten der Landschaft hinzuweisen?

Nach 1 weiteren Stunde erreicht man den Passo Posmeda, 2569 Meter über Meer. Dem Wanderer öffnet sich ein herrlicher Rundblick vom vergletscherten Basodino zum Pizzo Campo Tencia und hinunter in die Leventina. Noch sind rund 200 Höhenmeter zu bewältigen, aber es lohnt sich. Der Ausblick vom Gipfel ist sensationell. Jetzt öffnet sich auch der Ausblick gegen Osten. Oberalpstock und Tödi mit dem vorgelagerten Piz Urlaun prägen das Landschaftsbild, aber auch der Blick in die Tiefe zur Vermigel- und Wildenmattenhütte beeindruckt.

Nach einer wohlverdienten Rast geht es auf der Aufstiegsroute zurück zum Passo Posmeda. Hier verlassen wir den Vier-Quellen-Weg und geniessen, über den Rücken des Posmeda und Pizzo Canariscio wandernd, einen der schönsten Panoramawege im Tessin. Ab und zu sieht man am nicht markierten Weg die rosarote Alpengrasnelke, die von Süden her den Alpenkamm ganz selten überschreitet. Mit etwas Glück kann man auch Steinböcke beobachten. Die Pfiffe der Murmeltiere sind wohlvertraute Begleitmusik. Die Militärunterkünfte am Pizzo Canarisco sind einer zivilen Nutzung zugeführt worden, ob dazu aber ein breiter Erschliessungsweg notwendig war, kann man sich wirklich fragen.

Wir lassen diesen Weg links liegen und steigen ab gegen Norden in Richtung der beiden lieblichen Seen, den Laghetti degli Ovi. Beim Sellasee angelangt, geht es wieder zurück zur Gotthard-Passhöhe, wobei man weitere Festungsanlagen am Weg ausmachen kann. Ein spezielles Erlebnis ist ein kurzer Rundgang über die gletschergeschliffenen Rundhöcker auf dem Gotthardpass. Mächtige Eismassen sind noch vor 20 000 Jahren aus dem Urserental nach Norden bis über den Hallwilersee hinaus vorgestossen. Da die Eismassen im Urserental die Höhe von über 2600 Metern erreichten, floss auch ein Teil des Eises über den Gotthardpass nach Süden in den Kanton Tessin ab. Daher sind alle Felshöcker von Norden in der Fliessrichtung des Eises sanft ansteigend und abgeschliffen, gegen Süden fallen sie aber abrupt ab. Für den Interessierten zeigt das Museum auf der Passhöhe eine ganze Palette von weiteren höchst interessanten Facetten dieser bedeutendsten Passhöhe auf der europäischen Kontinental-Wasserscheide.

Max Rothenfluh


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