Das Tal von Wassen bis zum Sustenpass ist nicht nur für schnelle Töfffahrerinnen und -fahrer, sondern auch für Wanderinnen und Wanderer sowie Kletterinnen und Kletterer ein Erlebnis. Die heute zirka 80 in mehreren Weilern lebenden Einwohnerinnen und Einwohner des Meientals versuchen mit der Organisation Pro Meien und verschiedenen Aktivitäten, das Leben als Bauersleute und Pendelnde weiterhin selbst zu gestalten. Ein Hauptanliegen ist eine ganzjährig offene und befahrbare Strasse bis zu den hintersten bewohnten Häusergruppen.
Unsere Wanderung beginnt an der Postautohaltestelle bei der Brücke über den Gorezmettlenbach am Eingang zur Chlialp. Aus dem Hintergrund grüssen die Schneefelder und Gletscher um das Chli Spannort. Der steilere Weg, der Zwergenweg, über die Gitzichrummenflue zur Sewenhütte dauert etwa 1,5 Stunden. Wir aber gehen zirka 500 Meter zurück auf der Strasse oder der alten Sustenstrasse bis Gorezmettlen, wo der etwas längere aber weniger steile Hüttenweg beginnt. Im kühlen Färnigerwald steigt der Weg gemächlich an und lässt uns Zeit und Atem, die kleinen Wunder zu suchen und zu betrachten. Im Herbst ist dieser Wald ein Pilz- und Beereneldorado.
Wir überqueren eine in der letzten Eiszeit abgelagerte Seitenmoräne des Meientalgletschers. Bei den Gebäuden von Rieter auf 1900 Metern liegt das Meiental vor uns, und es öffnet sich der Blick auf die gegenüberliegende Talseite. Über den dunklen Gneisfelsen glänzen helle Schutthalden und Gipfel. Ein schmales Kalkband unterbricht die eintönige kristalline Landschaft. Wie an einer Perlenkette liegen die Weiler Färnigen, Fürlaui, Aderbogen, Eisten, Kapelle, Dörfli und Husen im Talgrund.
Der Weg führt weiter durch eine ebenfalls von Gletschern gestaltete Landschaft, der wahrscheinlich schönsten Moränenlandschaft der Zentralschweiz. Wir überqueren mehrere Kämme von Seitenmoränen zwischen denen kleine Moorflächen mit einer farbenfrohen Vegetation liegen. Nach zwei Stunden erreichen wir die Sewenhütte SAC, die von Juni bis Mitte Oktober bewartet ist. Sie bietet neben Zwischenverpflegung und Tagesaufenthalt auch rund 60 Personen Unterkunft.
Viele auch kindergerechte Kletterfelsen, aber auch echte Klettertouren laden zum Kennenlernen ein. Wir aber steigen zum See ab, wo wir an der Sonne liegen oder baden können. Die grossen Steine in der Umgebung zeugen von Bergstürzen aus den nahen Felsen und Gletschervorstössen. Von hier aus könnten wir über das Rot Bergli auf einer hochalpinen Route ins Gornerental und nach Gurtnellen oder zur Leutschachhütte gelangen. Unser Weg führt langsam an Felsen vorbei durch Grünerlengebüsche ins Gebiet der Bergalp. Die Alphütte steht auf der Tanzplatte, deren Name nichts mit Chilbitanz zu tun hat, sondern einen Balzplatz von Auer- und Birkhühnern bezeichnet.
Wir blicken in die ausgedehnten Lawinenverbauungen am Rinistock. Zwischen den von Gletschern gerundeten Felsen und Gebüschen aus Weiden und Rosen schlängelt sich der Weg nach unten. Auf einem kurzen Strässchen erreichen wir die Häusergruppe von Eisten. Seit dem 14. Jahrhundert ist diese Sonnenterrasse bewohnt. Hier lebten wahrscheinlich die ersten Menschen im Meiental. Bei Aderbogen erreichen wir wieder die Sustenpassstrasse und damit eine Haltestelle des Postautos. Wir schauen nochmals zurück in die Kette der Fünffingerstöcke, die im Herbst schon vom Neuschnee überzuckert sind. Wer auf der alten Sustenstrasse weiterwandern will, erreicht in etwa zwei Stunden Wassen.
Im Herbst ist die Wanderung eine Farbenpracht. Gelbe Lärchen und rote Vogelbeeren leuchten, Heidelbeeren, Bärentrauben und andere Zwergsträucher bilden bunte Mosaike, und das trockene gelbbraune Pfeifengras zeigt die feuchten Stellen an. Die ganze Wanderung dauert etwa 5 Stunden und ist auch für Familien und Gruppen problemlos. Das Postauto fährt von Mitte Juni bis Mitte Oktober, in der übrigen Zeit besteht ein Taxidienst.
Walter Brücker