erleben den Alpenübergang zwischen Glarus und Uri aus drei verschiedenen Blickwinkeln. Am vergangenen Samstag fand die Vernissage im Haus für Kunst statt.Verschiedene Blickwinkel - dies ist eine der Grundleitlinien der Ausstellung «Uri um 1920: Alltag und Avantgarde am Klausen - Die Künstlerin Erna Schillig», die am vergangenen Samstag, 30. April, im Haus für Kunst Uri ihre Tore öffnete. Blickwinkel sind verschieden; dasselbe kann von zwei Menschen ganz anders wahrgenommen und erlebt werden. Für verschiedene Gruppen bildete der Klausenpass in den 1920er-Jahren einen Mittelpunkt, den sie jedoch ganz unterschiedlich erlebten.
Das ErlebnisDie Klausenrennen waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Grossereignis und bewegten die Zeitgenossen auf vielfältige Weise. «Für einen Rennfahrer stellte der Klausenpass ein grosses Erlebnis dar. Vielschichtige Eindrücke müssen auf ihn sowie auf die Zuschauer am Strassenrand eingewirkt haben», führte Michel Blatter, Historiker an der Universität Luzern, in seiner Einführung aus. Auch die Touristen, die in immer grösserer Zahl über und auf den Klausenpass fuhren, suchten das Erlebnis. Die grossartige Alpenwelt und die Fahrt über den Pass, auf dem die berühmten Klausenrennen stattfanden - das musste man gesehen haben. Die Alpenwelt muss dabei als Erlebnis erster Güte auf die Rennfahrer und die Touristen gewirkt haben. Die Realität der Einheimischen erschien ihnen so in einem verklärten Licht. Zahlreiche Erinnerungsstücke wie Karten und Fotografien zeugen von der Anziehungskraft des Klausenpasses. Im obersten Geschoss des Hauses für Kunst finden Besucherinnen und Besucher diesen Aspekt verewigt. Plakate und eine Dokumentation lassen noch einmal den Hauch dieses «Erlebnisses» nachspüren.
Der AlltagDie Einheimischen erlebten den Klausenpass als ihre ureigene Lebenswelt völlig anders als die Touristen. Auch wenn den Touristen das Leben der Hirten und Bauern idyllisch schien, so war es doch geprägt vom Kampf ums Überleben. «Die Goldenen Zwanziger waren nicht für alle goldig», erklärte Kurt Lussi, Konservator am Historischen Museum Luzern und Historiker, in seinen Gedanken zur Ausstellung. «Die 1920er-Jahre waren auch ein Jahrzehnt der grossen Gegensätze. Die Reichen waren unermesslich reich, während der Grossteil der Bevölkerung um das Nötigste kämpfen musste.» Gerade auch in den Seitentälern des Kantons Uri zeigte sich die Armut in ihrer ganzen Bandbreite. Objekte aus dem Kanton Uri sollen den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung die Lebenswelt der Schächentaler Bevölkerung zur damaligen Zeit näher bringen. Die Objektauswahl und die Aussagen von zwei Frauen aus Spiringen beziehungsweise vom Urnerboden im Dokumentarfilm von Christoph Hirtler weisen darauf hin, dass zwischen dem Touristenerlebnis und der realen Lebenswelt am Klausen ein grosser Unterschied besteht. Die Ausstellung liefert interessante Einblicke in den von der Natur und ihren Gefahren geprägten Alltag im Schächental.
Die KünstlerinAuf eine ganz andere Art erlebte die Urner Künstlerin Erna Schillig den Klausenpass. Im Hotel ihrer Eltern auf der Klausenpasshöhe aufgewachsen, wurde sie zu einer der ersten künstlerisch tätigen Frauen der Innerschweiz. In einer Alphütte auf der Balmalp arbeitete sie zusammen mit Heinrich Danioth und dem deutschen Expressionisten August Babberger an zahlreichen Pastell-, Feder- und Farbstiftzeichnungen. Auf ihre ganz eigene Weise hat sie es verstanden, die Alpenwelt am Klausen in ihren Bildern einzufangen. Schon früh beschäftigte sie sich mit Textilien. Zu ihren Hauptwerken gehört neben den Zeichnungen vor allem auch ein Wandteppich, der das Thema des Alpsegens aufnimmt. In diesem Teppich, aber auch in ihren Bildern lässt sich immer wieder die Mystik der Alpenwelt spüren. Das Haus für Kunst zeigt erstmals eine Übersicht ihres Schaffens in den 1920er- und 1930er-Jahren. Damit fügt Gastkurator Christoph Hirtler den zwei gegensätzlichen Blickpunkten des Rennfahrers und Touristen sowie des einheimischen Bergbauern noch einen ganz anderen hinzu: den der Künstlerin. Es entsteht ein intensives und vielschichtiges Bild eines Alpenpasses in den 1920er-Jahren, aber auch ein Einblick in die menschliche Denk- und Erfahrungswelt im Allgemeinen.
Die Ausstellung ist noch bis am 26. Juni jeweils am Donnerstag und Freitag von 15.00 bis 19.00 Uhr und am Wochenende sowie an Feiertagen von 12.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Den Besucherinnen und Besuchern steht auch ein vielfältiges Rahmenprogramm offen. Weitere Informationen finden Interessierte unter www.urium1920.ch. Auskünfte sind auch telefonisch (041 870 29 29) erhältlich.
Ralph Aschwanden