Am späteren Montagnachmittag, 2. Juni, erklingen auf dem Winkelplatz in Altdorf Alphornklänge. Im Mehrzweckgebäude werden die geladenen Gäste mit volkstümlicher Musik des Frauenschuh-Quartetts empfangen. Lucia Lauener moderiert. Freundinnen und Freunde singen zu späterer Stunde in der Tracht des Kantons Uri das Lied «Dankbarkeit». Familienmitglieder, Wander-, Jass-, Tanz- und Ferien-«Gspääntli» geben ein musikalisches Ständchen. Die Stimmung wächst mit dem Lied «Über den Wolken» von Reinhard Mey. Bärti und Bärti Denier mit Seppi Nell singen «Zoogä-n-am Boogä», und die Gäste singen wieder mit. Kathrin Möhl und Annalise Russi überreichen namens der vier Landratsfraktionen Geschenke, Rebschnur, Sonnenbrille, vier Karabiner ... und eine Einladung zu einer Tour mit einem Bergführer. Barbara Bär, die Gemeindepräsidentin von Altdorf, und Korporationspräsident Anton Arnold gratulieren.
Dazwischen servieren Männer in Gelb-Schwarz sehr aufmerksam drei verschiedene Menüs, natürlich vegetarisch, die «Fraktions-Teigwaren» mit roter und grüner Sauce, Risotto ai Funghi und Chili con Verdura, Wasser und Wein, Kaffee und Schnaps, Pastete, «Biiräweggä» und Krapfen. Und zum Ausklang der Feier lädt die neue Urner Landratspräsidentin Annalise Russi zur Salsa-Stunde und zum Salsa-Tanz ein.
Angesprochen von Tieren, aber nicht in allen Details gleichErstmals hat eine Grüne, eine Berggängerin und Kraxlerin noch dazu, den höchsten Thron bestiegen. Sie sitzt für ein Jahr im Landratssaal zuoberst. Und es gibt mehrere Gemeinsamkeiten mit dem neuen Urner Landammann der CVP, der jeweils etwas tiefer vor ihr im Landratssaal Platz nehmen wird. Man möge staunen, betont Isidor Baumann. «Wir sind beide im Urner Oberland aufgewachsen, kennen die Wünsche und Herausforderungen von Aussengemeinden und haben Verständnis dafür. Und wir beide lieben die Berge und gehen gerne obsi'», meint er, und Isidor Baumann überbringt ihr die Glückwünsche des Regierungsrates. Und noch eine Gemeinsamkeit: «Wir beide lieben die Natur und fühlen uns angesprochen von den Tieren, aber nicht gleich in allen Details, was mit Wolf und Schaf auch zu erklären ist.»
Annalise Russi ist nach Maria Baumann, Wassen, Luzia Baumann, Altdorf, und Luzia Schuler, Bürglen, die vierte Frau, die das ehrenvolle Amt als Landratspräsidentin angetreten hat. «Ich bin ein Mensch, der sich immer für andere Menschen, für andere Kulturen begeistern konnte. Dabei kenne ich eigentlich keine Berührungsängste», sagt sie in ihrer Rede. Und der Kanton Uri ist ihr ausserordentlich viel wert. Das spürt man.
Stolz auf AltdorfDoch bevor sie zum Anstossen bereit ist, muss sie noch etwas loswerden. Es sind, neben ihren Umweltsorgen, drei Aspekte: das magere Interesse der Urner Bevölkerung an der Politik, der schrumpfende Anteil an Frauen in unseren Behörden und der Unmut unserer Jugend mit den Erwachsenen. «Die geringe Wahlbeteiligung ist alarmierend ... Sie erreiche praktisch nie 40 Prozent. Dabei ist es doch das Privileg einer direkten Demokratie, die Entscheidungen, die von öffentlicher Bedeutung sind, zu steuern, mitzutragen und zu verantworten.» Seit 1971, der Einführung des Frauenstimmrechts, sei der Anteil jener Frauen, die an die Urne gehen, um rund 30 Prozent gesunken. Politik sei auch Frauensache, betont sie. Und Annalise Russi bedauert, dass ein kleiner, aber nicht weniger ernst zu nehmender Teil der Jugendlichen nicht mehr zwischen Schalk und blinder Zerstörung unterscheiden könne. «Diese Situation muss entschärft werden», sagt sie - und ist stolz auf ihre Wohngemeinde Altdorf. «Die Gemeinde Altdorf hat mit ihrer Zukunftswerkstatt den Grundstein für eine aktive Kinder- und Jugendpolitik gelegt. Ich muss sagen. Ich bin richtig stolz auf meine Wohngemeinde, dass sie Jugendliche unterstützt, wo immer nötig fördert, aber auch fordert, und gleichzeitig versucht, Erziehungsberechtigte und Eltern zu unterstützen und zur Verantwortung zu ziehen.» Dann hat sie genug gesagt - und will endlich anstossen.
Erich Herger