Filigrane Kunstwerke aus zarter Frauenhand

Klosterarbeiten - so heisst das Hobby, dem sich die aus Gurtnellen stammende Flüelerin seit bald zwei Jahrzehnten verschrieben hat. In ihrem Atelier entstehen faszinierende Teile.
29.07.2008
Durch Zufall fand der Schreibende dieser Tage im Einfamilienhaus der Familie Ziegler-Baumann an der Dorfstrasse in Flüelen etwas Besonderes. In den Lokalitäten des Gebäudes verbargen sich gleich zwei Künstlerklausen. Während im Parterre eine Bastelwerkstätte und ein kleines Malereiatelier eingerichtet sind, ist im oberen Stockwerk das Atelier von Trudi Ziegler-Baumann untergebracht. Sie konzentriert sich seit rund 20 Jahren auf sogenannte Klosterarbeiten. Wer sich vorstellt, dass dabei lediglich «kirchlich ausgerichtete» Miniaturen entstehen, liegt völlig falsch. Der Begriff Klosterarbeiten stammt zwar aus dem vorigen Jahrhundert, sagt aber nur aus, dass die Gold- und Silberdrahtarbeiten früher fast ausschliesslich in Klöstern angefertigt wurden. Im weiteren Sinn sind dem Begriff nämlich auch gestickte und gemalte Andachtselemente, Spitzenbilder und Paramentik zuzuordnen. Üblicherweise bezeichnet man als Klosterarbeit jene kunsthandwerklichen Produkte, welchen Gold- und Silberschmiedekunst und Paramenten­stickerei zugeordnet und in alten Schriftstücken zumeist simpel «schöne Arbeiten» genannt werden.

Wurzeln reichen ins Mittelalter

Die Wurzeln der Klosterarbeiten reichen ins Mittelalter zurück. Die Klosterfrauen strebten damals nach inniger Verbindung zu Gott. Sie öffneten sich den Ideen der geistlichen Mystik. Oft waren Frauenklöster einem Männerkonvent angeschlossen, doch Aktivitäten wie Seelsorge, Predigt und gelehrte Studien blieben den Frauen verwehrt. Ihr Tagesablauf sah neben Chorgebet und geistlicher Lesung hauptsächlich Handarbeiten innerhalb der Klausur vor. Das 16. Jahrhundert beispielsweise eröffnete den Frauenklöstern durch den erwachenden Reliquienkult ungeahnte Möglichkeiten für kunsthandwerkliche Betätigung. Im Konzil zu Trient (1545 bis 1563) war den Bischöfen die Verehrung der Heiligen in den «heiligen Leibern» der Märtyrer ausdrücklich zur Aufgabe gemacht worden. In feierlichen Translationen wurden damals die Skelette aus den Katakomben Roms in Klöster und Kirchen der Schweiz, Österreichs und Bayerns überführt. Im alpenländischen Raum dürften an die 2000 Reliquienskelette vorhanden gewesen sein. Sie verlangten nach Schmuck und Dekoration, damit sie auf den Altären zur Schau gestellt werden konnten. Man hüllte sie in kostbare Gewänder, bedeckte sie mit Gold- und Silberdrahtarbeiten, Perlen und geschliffenen Steinen und präsentierte sie in prunkvoll ausgestatteten Sarkophagen. Es waren nun keine toten Gebeine mehr, sondern sozusagen lebendige Heilsbringer, von denen auch Wunder erwartet werden durften. Kleinere Fragmente wurden sorgfältig in Reliquienschreinen verwahrt, aufwendig verziert und zu beiden Seiten der Tabernakel aufgestellt. Kleinste Partikel fügte man behutsam in Kapseln, Kreuze oder Reisealtärchen ein, um sie ständig bei sich tragen zu können und auf diese Weise stets unter dem besonderen Schutz der Heiligen zu stehen. So bildeten derart kleine Reliquienpartikel hochgeschätzte Bestandteile von Klosterarbeiten.

Wachsendes Interesse

Im Laufe der Zeit tauchten eigentliche Kurse für Klosterarbeiten auf. In den Programmen wurden Art und Sinn derselben aufgezeigt, da nur wenige mit dem etwas seltsam anmutenden Begriff etwas anfangen konnten. Wachsendes Interesse an schönen alten Dingen, an bodenständiger Volkskunst und traditionsreichem Kunsthandwerk erweiterte den Kreis jener Personen, die sich mit Eifer und Geduld den «schönen Arbeiten» zuwand­ten. Eigentlich ist es schwierig, in Worten die mehrheitlich komplizierten, den Klosterarbeiten innewohnenden Handgriffe verständlich zu machen. Elisabeth und Erwin Schleich haben in einem bayrischen Kloster ein Büchlein von 1869 gefunden. Es enthält recht genaue Beschreibungen, die trotzdem schwer nachvollziehbar sind, wie etwa diese: «Man nehme ein Stück flachen Drahtes, wickle Bouillon über denselben und fange mit der Winde an, darunter und darüber zu drehen, sodass schliesslich ein Bild daraus entsteht.» Die meistverwendeten Materialien waren Gold- und Silberdraht unterschiedlicher Stärken, Stoffe wie Brokat, Samt, Seide und Lamé, Pergament, Wachs, geschliffene Steine, Perlen und Pailletten, doch finden sich auch Spiegel, Muscheln und Schneckenhäuser, Sand und getrocknete Gräser. Für eine spezielle Gattung der Klosterarbeiten, die Krüll­arbeit, werden schmale Papierstreifen mit Goldschnitt verwendet. Zu den verschiedensten Formen gerollt, werden sie zu dekorativen Elementen zusammengefügt und unauffällig verklebt: ein Beispiel dafür, wie mit bescheidenen Mitteln durch aussergewöhnlich sorgfältige Arbeit ein vollkommenes Produkt entstehen kann. «Darin verpackt sind sehr oft gegen zweieinhalb Dutzend Handwerke wie Wachsgiessen, Eier auffräsen, Draht- und Papierarbeiten, nach vorgängiger minutiöser Planung gestaltet», erklärt Trudi Ziegler-Baumann.

Schon als Kind fasziniert

Die Kunstschaffende aus Flüelen zeigte sich schon als Kind von solch handwerklichen Tätigkeiten, die sie in Kirchen und Museen entdeckte, fasziniert. «Richtig klick machte es erst vor bald zwei Jahrzehnten, als ich nach dem Auszug der inzwischen erwachsen gewordenen Kinder über mehr Zeit verfügte, einen Kurs unter der Leitung von Bärble Kirner besuch­te und ich mir sagte, dass die Herstellung solcher Kleinode eigentlich richtig auf meine Interessen und Begabungen zugeschnitten ist. Ich besuchte weitere Kurse im In- und Ausland (Deutschland, Österreich). Dabei begegnete ich in der Person von Jürgen Hohl auch einer eigentlichen Klosterarbeiten-Koriphäe.» Seither hat Trudi Ziegler-Baumann Hunderte von eindrücklichen Arbeiten hergestellt, in die zum Teil echte Reliquien integriert sind. «Ich verfertige sie nicht als kommerzielle Ware, sondern einfach darum, weil ich Freude und Erfüllung daran finde. Wenn ich das eine oder andere Stück veräussert oder verschenkt habe, dann darum, weil ich nicht ein eigentlicher Sammlertyp bin, sondern die Werklein auch Interessierten zeigen und präsentieren will. In diesem Sinne wartete Trudi Ziegler-Baumann schon mit verschiedenen Ausstellungen ausserhalb des Kantons Uri auf. Heute erinnert sie sich übrigens besonders gerne an Kontakte zum ehemaligen Pfarrherrn Hans Aschwanden aus Isenthal, der nächstes Jahr sein 90. Wiegenfest feiern kann. «Er half mir sehr viel in meiner Arbeit, indem er für mich die verschiedensten alten Werke als Anschauungsmaterial zur Verfügung hielt», erklärte die Flüelerin, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sie auch im nächsten Jahr ihre Miniaturen der Öffentlichkeit präsentieren will. Eine Ausstellung soll beispielsweise in Gerlafingen stattfinden und spezielle «Eierarbeiten» umfassen. Als denkbar bezeichnet Trudi Ziegler-Baumann in absehbarer Zeit eine Ausstellung in Uri, doch sind die Weichen dafür noch nicht definitiv gestellt.

Ruedi Ammann


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