Drei Tage vor Weihnachten kommt ein Anruf, der das Leben der Familie Aschwanden-Gonçalves für immer verändert. Der Anwalt verkündet die Botschaft des Bundesgerichts: Die Familie darf in der Schweiz bleiben. Endlich! «Ein schöneres Weihnachtsgeschenk hätten wir uns nicht vorstellen können», sagt der neunjährige Gustavo mit leuchtenden Augen. Seine Leidensgeschichte hat nun ein Ende, genauso wie jene von Mutter Maria und Schwester Ingridy.
Die Familienidylle zerbrichtDie Schicksalsgeschichte der Familie Aschwanden-Gonçalves beginnt im Mai 2004, als Marco Aschwanden nach einer Brasilienreise Maria Gonçalves heiratet. Zusammen mit Marias Kindern Gustavo und Ingridy leben die vier in Erstfeld als glückliche Familie. Bis am Abend des 31. Oktober 2006: Marco Aschwanden-Gonçalves erleidet in der Wohnung einen schweren Asthmaanfall und bricht vor den Augen der Familie zusammen. Die damals zwölfjährige Ingridy versucht noch, ihren Ziehvater mit Herzmassage zu reanimieren - erfolglos. Im Spital schliesslich stirbt Marco in der Nacht auf den 1. November an einem Herzstillstand. «Das Ereignis hat uns alle schwer traumatisiert», erinnert sich Marietta Aschwanden, die Mutter des Verstorbenen. Und ihre Enkelin Nadja Aschwanden fügt hinzu: «Vor allem für Maria und die Kinder war es besonders schwer, ihren geliebten Ehemann und Stiefvater sterben zu sehen.»
Die Ausweisung drohtZeit zum Trauern hat die Familie jedoch nicht. Kurz nach dem Tod ihres Mannes erhält Maria Aschwanden-Gonçalves ein Kondolenzschreiben vom Amt für Migration Uri, inklusive der Meldung, dass nun der Aufenthaltsstatus der Familie geprüft werde. «Das war ein grosser Schock für uns. Zuerst verlieren wir Marco, und dann sollten wir auch noch den Rest der Familie in der Schweiz zurücklassen», erinnert sich Maria Aschwanden-Gonçalves. Was dann folgt, ähnelt einer schier unendlichen Geschichte des Wartens: Im April 2008 stellt das Obergericht Uri der Familie die Aufenthaltsbewilligung in Aussicht.
Erleichterung! Vier Monate später dann die Ernüchterung: Das Bundesamt für Migration widerspricht dem Obergerichtsurteil («Urner Wochenblatt» vom 20. September 2008). Der Anwalt der Familie zieht den Fall weiter und schickt im März 2009 die Akten ans Bundesgericht, das im Juni desselben Jahres psychologische Gutachten von Gustavo und Ingridy anfordert.
Vier Jahre «wie im Gefängnis»Nach dem Tod von Marco Aschwanden-Gonçalves heisst es für die hinterbliebene Familie: vier Jahre lang warten, bangen und hoffen. «Ich fühlte mich wie im Gefängnis», erzählt Maria Aschwanden-Gonçalves. «Bei jedem Schritt, den ich tat, fragte ich mich: Darf ich das? Und vor allem: Lohnt sich das überhaupt?» Auch die Kinder leiden sehr unter der Ungewissheit. Die heute 16-jährige Ingridy versteht die Welt nicht mehr: «Wir haben doch niemandem was getan!» Tatsächlich: Die Familie Aschwanden-Gonçalves gilt als gut integriert, die Kinder besuchen die Schule, sprechen fliessend Schweizerdeutsch, und Mutter Maria arbeitet Teilzeit als Küchenhilfe. «Ich habe nie auf Kosten des Staates gelebt, immer meine Steuern bezahlt und mir nichts zuschulden kommen lassen!», erzählt Maria Aschwanden-Gonçalves. Die Witwe scheint stark, ihre Augen leuchten. Doch der Schein trügt, ihre Seele ist zutiefst verletzt. «Einmal stand meine Schwiegertochter kurz vor einem Nervenzusammenbruch», erzählt Marietta Aschwanden.
Verpasstes nachholenNun hat die Leidensgeschichte von Familie Aschwanden-Gonçalves ein gutes Ende gefunden. Nach dem positiven Bescheid zu Weihnachten wurde so richtig gefeiert. Nadja Aschwanden schmunzelt: «Unser Jubel war bestimmt in halb Erstfeld zu hören.» Am 21. Januar ist nun auch die schriftliche Bestätigung gekommen. «Jetzt können wir alles nachholen, was bis jetzt nicht möglich war», träumt Maria Aschwanden-Gonçalves. So wird Gustavo heute Samstag, 12. Februar, in der Kirche getauft. Und die Kinder können in der Schule Vollgas geben. «Bereits in der kurzen Zeit seit dem positiven Bescheid haben sich die Noten von Gustavo und Ingridy verbessert!», freut sich Maria Aschwanden-Gonçalves.
Jetzt, da der Druck und die Ungewissheit weg sind, können sich alle auf ihr Leben in der Schweiz konzentrieren. Ohne Angst, auf einmal ausgewiesen zu werden. Ein einziger Dorn im Auge bleibt jedoch: Die Familie Aschwanden-Gonçalves beginnt jetzt wieder bei null, was die Aufenthaltsbewilligung anbelangt. Die erlittenen vier Jahre werden nicht gezählt. Und was Maria Aschwaden-Gonçalves besonders stört: Auf ihrem Ausländerausweis der Kategorie B steht nur noch ihr lediger Name. «Als wäre ich nie verheiratet gewesen oder als ob ich mich hätte scheiden lassen», sagt die Witwe enttäuscht.
Dankbar für die SolidaritätMaria Aschwanden-Gonçalves und ihre Kinder sind in den vergangenen Jahren oft an ihre Grenzen gestossen. Oft haben sie mit Ämtern gehadert, Ungerechtigkeiten erlitten - und das mitten in einer Zeit der Trauer. Trotzdem empfindet die Familie heute vor allem eines: Dankbarkeit. «Wir haben unglaublich viel Anteilnahme und Solidarität gespürt, selbst von Leuten, die wir nicht kennen», betont Maria Aschwanden-Gonçalves mit leuchtenden Augen. «Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich am liebsten ein lautes Danke! herausposaunen, das alle hören können!» Vor allem ihrer Schwiegermutter und Nadja Aschwanden sei sie zu Dank verpflichtet. «Ohne den unglaublichen Zusammenhalt in der Familie hätten wir diese Zeit nicht überstanden», ist Maria Aschwanden-Gonçalves überzeugt. Der Kampf hat sich gelohnt. Oder um es in den Worten des kleinen Gustavo zu sagen: «Am Ende gewinnen eben doch die Guten!»
Carmen Epp