Heute Samstag, 5. März, vor genau 65 Jahren ist Rolf Diethelm zur praktischen Autoprüfung angetreten - rund einen Monat nach seinem 18. Geburtstag. Die Erinnerungen an diesen Tag sind noch immer lebendig. «Mein Prüfungsexperte und damaliger Vorsteher der Motorfahrzeugkontrolle war der Vater des heutigen Ständeratspräsidenten Hansheiri Inderkum», erzählt Dr. Rolf Diethelm stolz. Und dank eines Eintrages in sein Tagebuch weiss er noch genau, wohin die Prüfungsfahrt ging. «Eine Rückwärtsfahrt rund ums Rathaus in Altdorf gehörte damals zum Standardprogramm», erklärt der heute 83-Jährige. Drei Tage später folgte die theoretische Prüfung.
VW-Schlüssel für mehrere AutosSein erstes eigenes Auto erwarb Rolf Diethelm 1951: Einen VW mit der Autonummer UR 464. «Gerne hätte ich die Nummer UR 444 gehabt, weil der damalige Rennfahrer Rudolf Caracciola an seinem Tessiner Privatauto die Nummer TI 444 hatte.» Diese war aber zu diesem Zeitpunkt schon besetzt. Mit seinem ersten VW fuhr Rolf Diethelm viel - auch ins Ausland. Nicht immer ohne Probleme: Mehrfach sei der Keilriemen gerissen, erinnert sich der ehemalige Kantonsarzt. «Einmal konnte ich ihn mit einem Damenstrumpf provisorisch ersetzen, um in die nächste Garage zu gelangen.» Da es damals nur wenige Autos, aber verhältnismässig viele VWs hatte, sei es schon mal vorgekommen, dass er mit seinem Schlüssel jedes dritte oder vierte Auto am Strassenrand hätte öffnen können.
Lotus statt AllradantriebWie viele Autos er in den 65 Jahren insgesamt fuhr, weiss Rolf Diethelm heute nicht mehr. «Es waren viele, vom einfachen VW bis hin zu Sportwagen wie Porsche und Lotus», erklärt Rolf Diethelm. In bester Erinnerung blieb ihm ein Lotus Elan Plus 2 Sportwagen Jahrgang 1970. «Der Wagen war wunderbar zu fahren, hatte aber unendlich viele Pannen.» Trotz der früher sehr grossen Besuchspraxis des ehemaligen Kantonsarztes habe er nie das Bedürfnis nach einem Vierradantrieb oder einem Geländegang gehabt, betont Rolf Diethelm. «Gute Winterpneus und Schneeketten haben ausgereicht. Ganz selten - ich erinnere mich an ein einziges Mal - holte mich ein Bergbewohner etwas von seinem Haus entfernt mit seinem Jeep ab.» Bei seinen Einsätzen in Afrika 1959/60 fuhr Rolf Diethelm einen Landrover mit Geländegang und Allradantrieb. «Oder einen Peugeot», fügt der 83-Jährige an. «Die galten selbst bei den englischen Beamten dort als äusserst solide.»
Berühmte Personen kennengelerntRolf Diethelm hat seinem Autoausweis zahlreiche interessante Bekanntschaften zu verdanken. 1954 hat er mit ein paar Freunden eine Reise quer durch Frankreich unternommen. «In Nizza führte ich ein langes Gespräch mit einem Unbekannten», erzählt Rolf Diethelm. «Als ich ihn fragte, was er von Beruf sei, gab er sich als der berühmte Maler Pablo Picasso zu erkennen.» Auch den Dichter John Knittel und den Geiger Yehudi Menuhin hat der Urner auf seinen Reisen mit dem Auto kennengelernt. «Und das nur dank der Möglichkeiten und Mobilität, die mir das Autofahren eröffnet hatte!»
Zur Sicherheit im Strassentunnel beigetragen«Von richtigen Unfällen bin ich in den 65 Jahren verschont geblieben», zeigt sich Rolf Diethelm stolz. Durch seine auf Unfälle ausgerichtete Arztpraxis hat er sich stark mit Ursachen und Verhütung von Verkehrsunfällen beschäftigt. Als Rolf Diethelm 1976 zum Kantonsarzt ernannt wurde, war der Gotthard-Strassentunnel bis zur Hälfte ausgebrochen. Auch da zeigte er sich stets engagiert. «Ich habe sämtliche europäischen Auto-Alpentunnels besucht und mit den Leitungen über die Probleme gesprochen.» Für den Gotthard-Strassentunnel bemühte er sich dann um eine Einrichtung des Tunnelfunks, die pünktlich zur Tunneleröffnung erfolgte. «Das war damals einmalig in Europa», erinnert sich Rolf Diethelm. Daneben sorgte der Urner für eine weitere Massnahme, den Strassentunnel sicherer zu machen: die leuchtenden und schüttelnden Noppen auf den zwei Mittellinien der Strasse. «Zuerst wurde ich für diese Forderung belächelt; nach zahlreichen Unfällen im noppenlosen Jahr aber wurden die von mir empfohlenen Noppen angebracht, woraufhin die Zahl der Frontalkollisionen stark zurückging.»
Mit gutem Beispiel vorangehen«Wenn ich nun im Alter von 83 Jahren den Führerausweis zurückgebe, stimmt mich das im Rückblick auf die zahlreichen Erlebnisse rund um das Autofahren doch ein wenig traurig», gibt Rolf Diethelm zu. Doch man dürfe sein Alter nicht leugnen. Und obwohl er sich sowohl körperlich als auch geistig noch als fahrtüchtig bezeichnen würde, möchte Rolf Diethelm mit gutem Beispiel vorangehen. Bei der Abgabe seines Führerscheines mit Wirkung ab heute Samstag, 5. März, zeigte sich das Amt für Strassen- und Schiffsverkehr hoch erfreut. «Es ist alles andere als selbstverständlich, dass jemand seinen Führerausweis freiwillig abgibt. Immerhin verzichtet man damit auf ein grosses Gut, die Mobilität», gibt Amtsvorsteher Albert Zopp zu bedenken. Doch Rolf Diethelm relativiert sogleich: «Mit den gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsmitteln und der Hilfe der Verwandtschaft bin ich weiterhin mobil.» Das von Rolf Diethelm verfasste «Memento für einen Auto-Fahrausweis», bestehend aus Tagebucheinträgen aus 65 Jahren Autofahrergeschichte, stiess bei Albert Zopp auf grosses Interesse. Er will die Aufzeichnungen in das Archiv des Amtes für Strassen- und Schiffverkehr aufnehmen. Als Zeitdokument einer Automobilgeschichte, die ab heute zu Ende ist.
Carmen Epp