Nach der Französischen Revolution entstanden unzählige Frauenklöster, deren Entstehung oft von Männern ausging. Zu ihnen gehörte auch Theodosius Florentini. Er ist einer der bedeutendsten Sozialapostel des 19. Jahrhunderts.
Des Landes verwiesen, musste Theodosius aus Baden ins Elsass fliehen. Drei Monate später, an Ostern 1841, befindet er sich in Altdorf. Er predigte in fast allen Urner Pfarreien und war geistlicher Begleiter im Kloster Seedorf. Vor allem aber gab er dem Schulwesen neuen Aufschwung.
Der Anfang in Altdorf Altdorf wurde zum Ausgangspunkt der beiden Ordensinstitute Menzingen und Ingenbohl. Im Kapuzinerkloster legten am 16. Oktober 1844 drei junge Frauen, darunter Schwester Bernarda Heimgartner, die Gelübde ab. Tags darauf eröffneten sie in Menzingen die erste Mädchenschule. Im gleichen Jahr kam es zum ersten Kontakt mit Katharina Scherer, der späteren Mitbegründerin der Ingenbohler Schwestern. Sie gesellte sich zu den Schwestern in Menzingen und begann im März 1845 in Altdorf ihr Noviziat. Die junge Gemeinschaft übernahm sehr schnell auch sozialkaritative Dienste. 1845 gründete Theodosius in Chur das Kreuzspital, ein neues Zentrum mit Noviziat und eigener Vorsteherin (Maria Theresia Scherer). In zum Teil schmerzlichen Auseinandersetzungen entwickelte sich daraus das eigenständige Institut der Barmherzigen Schwestern von Ingenbohl. Die komplexen Vorgänge, die seit bald drei Jahrhunderten die Welt verändern, nennen wir «Modernisierung». Dieser Prozess ist an der Geschichte der beiden Institute Menzingen und Ingenbohl ablesbar.
In der «Schweizerischen Kirchenzeitung» (5. November 1853) lesen wir: «Der vom unermüdlichen Eifer des P. Theodosius gestiftete Orden der Schwestern vom heiligen Kreuz, verpflanzt sich bereits auch in hiesigem Kanton. Zwei Spitalschwestern besorgen schon seit einigen Jahren mit grosser Zufriedenheit das Krankenhaus in Altdorf, zwei sind von Herrn Ing. Müller für Erziehung armer Kinder an die Isleten berufen und zwei finden sich in Flüelen, wo die eine das Armenhaus, die andere die Töchterschule übernimmt.»
Vom Fremdenspital zum modernen KrankenhausDie Notiz spricht von zwei Schwestern im Urner Fremdenspital. So entwickelte sich das mittelalterliche Hospital zum modernen Krankenhaus. Lisette Müller, die Schwester des bekannten Urner Ingenieurs und Landammans Karl Emanuel Müller (1804-1869), wollte das Fremdenspital erneuern. Sie stand Theodosius während seiner Altdorfer Zeit nahe. Sie und andere Frauen wollten sich als Spitalschwestern unter eine geistliche Leitung begeben. Später wurden sie Barmherzige Schwestern.
Lisette Müller legte 1852 als Schwester Walburga in Chur Profess ab, starb aber bald. Im Fremdenspital wirkten zuerst die Lehrschwester Maria Zürcher und dann bis 1880 Ingenbohler Schwestern zum Wohl der Durchreisenden, Armen und Kranken.
Die Entwicklung wurde vor allem durch Karl Emanuel Müller vorangetrieben. 1848 wollte er das Fremdenspital in ein Bezirksspital umwandeln, scheiterte jedoch, weil sich die Spitalverwaltung widersetzte. 1867 stiftete er dann aus eigenen Mitteln das Kantonsspital. Schon früh hatte er den Wunsch geäussert, die Führung des Spitals den Ingenbohler Schwestern zu übergeben. Am 9. Dezember 1871 wurde mit den Ingenbohler Schwestern, die bis 1990 blieben, ein Vertrag geschlossen. Die oben zitierte Notiz spricht dann von Schwestern, die sich der «Erziehung armer Kinder an der Isleten» widmen. An der Wiege der Industrialisierung in Uri steht ein Fabrikheim, das ebenfalls auf Karl Emanuel Müller zurückgeht (1853), eine Papierfabrik, die drei Arbeiter und ein Dutzend Mädchen zwischen zehn und 16 Jahren beschäftigte. Schwester Julia Matt wirkte als Aufseherin und Lehrerin. Die Kinder erhielten per Zentner zerrissener und sortierter Lumpen 71 Rappen.
Einrichtungen für Arme, Betagte und KinderNach der gleichen Notiz sind 1853 zudem zwei Schwestern in Flüelen tätig, die eine im Armenhaus, die andere in der Mädchenschule. Viele Gemeinden gründeten Armenanstalten. Lange lebten darin Kinder, Jugendliche und Erwachsene aller Altersstufen miteinander. Es waren Elendshäuser für alle von der Armut Betroffenen. Die erste Armenanstalt im Kanton Uri entstand in Flüelen (heute Seerose). Bald zählte sie 26 bis 30 Personen. Theodosius Florentini sandte für Leitung und Haushalt Schwester Christiana Risi. Die Schwestern blieben bis 1989. Sie übernahmen dann auch die Leitung der Armen- und Waisenanstalt Altdorf (1858-1964), die «Pfleg» in Schattdorf (1861-1991), die Armenanstalt in Bürglen (1890-1989), die Kantonale Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder (Kinderheim) in Altdorf (1887) und das Urner Altersheim in Flüelen (1927). Diese beiden Institutionen weisen auf Sondereinrichtungen hin, die mit der Zeit entstehen: Kinder werden immer mehr von den Erwachsenen getrennt. Bei den Erwachsenen selbst wurden die alten, aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Personen immer deutlicher als besondere Gruppe gesehen und entsprechend begleitet.
Bildung, vor allem der MädchenDie Notiz berichtet auch, dass bereits 1853 eine Lehrschwester in Altdorf wirkte. Die Lehrschwestern von Menzingen konzentrierten sich am Anfang ganz auf die Schule. 1854 kam eine Schwester Antonia Zurmühle nach Wassen. Seitdem haben Hunderte von Lehrschwestern aus beiden Instituten in fast allen Gemeinden des Kantons gewirkt.
Pionierhaft ist die Eröffnung der Mädchen-Sekundarschule in Altdorf bereits 1862 durch das Institut Menzingen. Neben den gängigen Unterrichtsfächern der Sekundarstufe sollte der praktischen Einführung ins spätere Leben besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Während 125 Jahren wirkten die Menzinger Schwestern ununterbrochen an dieser Schule. Später kamen Mädchensekundarschulen in Wassen, Göschenen, Seelisberg, Gurtnellen Wiler, Erstfeld und Bürglen dazu. Ingenbohler Schwestern wirkten an den Sekundarschulen von Flüelen und Schattdorf. Die beiden Institute legten ihr Augenmerk vor allem auf die frauenspezifische Bildung, an mehreren Orten führten sie Arbeits- beziehungsweise Hauswirtschaftsschulen. Die Bergheimatschule in Gurtnellen war eine Ausbildungsstätte für Töchter entlegener Berggebiete. Das Urteil Franz Schmids, des Schulratspräsidenten von Altdorf, aus dem Jahr 1882 mag auch für die sozialkaritativen Engagements der Schwestern gelten: «Wenn in einer grösseren Zahl von Gemeinden die Leitung der Primarschule eine befriedigende geworden ist, so danken wir dies grösstenteils der in unseren Gemeinden immer beliebter gewordenen Anstellung von Lehrschwestern und Referent erachtet sich verpflichtet, der Lehrtätigkeit und dem gedeihlichen Wirken der Lehrschwestern in zahlreichen Primarschulen des Kantons die vollste Anerkennung auszusprechen.»
Schwester Zoe Maria Isenring