Korporation Ursern: Archivbestände sind nun geordnet

Im vergangenen Jahr wurden die Archivbestände der Korporation Ursern aus dem Zeitraum von 1800 bis 1950 durch Studentinnen und Studenten der Universität Basel gesichtet und in einer elektronischen Datenbank erfasst. Am Samstag, 27. November, präsentierten einige Beteiligte im Rathaus Ursern ...
30.11.2004
ihre damit verbundenen wissenschaftlichen Arbeiten.

Das Archivmaterial war vorher zum Teil bunt durcheinander in rund 200 Schachteln gelagert. Weit über 1'000 Dokumente und Dokumentenbündel mussten von den Studentinnen und Studenten einzeln erfasst werden, damit sie eingeordnet werden konnten. «In Basel haben wir im Vorfeld drei Wochen lang das Lesen der alten Schriften intensiv geübt. Trotzdem bekamen wir zu Beginn einen ganz schönen Schock, denn das Entziffern der Dokumente stellte uns vor grössere Probleme, als wir erwartet hatten. Nach zwei bis drei Tagen hatten wir dann der Dreh aber doch raus», sagte der an der Erarbeitung der Archivdatenbank beteiligte Student Elias Kreyenbühl gegenüber dem «Urner Wochenblatt».

Archivplan erstellt

Das gesichtete Material wurde in einem zweiten Schritt 14 verschiedenen inhaltlichen Kategorien zugeordnet. Später folgte noch die Zuteilung in Unterkategorien. Damit die in der Datenbank erfassten Dokumente problemlos wieder gefunden werden können, erhielt jedes eine chronologische Nummer. Nach einer aufwändigen Rückkontrolle, bei welcher alles von A bis Z nochmals durchgeschaut und verglichen wurde, erfolgte die Erstellung eines Archivplans und die Einlagerung jedes einzelnen Dokuments in säurefreies Papier, was als sicherste Archivierungsmethode gilt.
«Das Archiv war vorher völlig unübersichtlich und dadurch kaum zu gebrauchen. Nur mit viel Glück konnte man überhaupt etwas finden. Jetzt ist das Material geordnet und sogar ganz fein erschlossen. Man findet sich nun problemlos zurecht», erklärte Elias Kreyenbühl. Dieser erste Projektteil nahm rund ein Jahr in Anspruch. 16 Studentinnen und Studenten weilten viermal eine Woche lang in Andermatt, um die Dokumente zu erfassen und zuzuordnen. Unterstützung erhielten sie bei dieser Arbeit von Talarchivar Erich Nager und vom Staatsarchiv Uri.

Elf Seminar- und Lizenziatsarbeiten

Im zweiten Projektteil schrieben die Studierenden elf Seminar- respektive Lizenziatsarbeiten zu politischen, gesellschaftlichen und touristischen Themen. Sieben davon wurden im Rathaus vorgestellt. Jan Schudel beispielsweise befasste sich mit dem Schutz vor der berüchtigten Gspenderlawine zwischen 1876 und 1951. «Nach jedem Unglück wurden jeweils wieder neue Schutzmassnahmen getroffen. Man sieht, wie das Ganze immer teurer und aufwändiger wurde und wie die Lawinen das Leben im Dorf Realp bestimmt haben», fasste Jan Schudel seine Erkenntnisse zusammen. Rund zweieinhalb Monate wendete er für seine Seminararbeit auf. Dabei erleichterte ihm die neue Datenbank das Finden der benötigten Basisinformationen. «Die meiste Arbeit gab nicht das Zusammensuchen des Informationsmaterials, sondern das Zusammenfügen zu einer Geschichte», so der Student. Bei jedem neuen Verbauungsprojekt habe es jeweils wieder eine neue Auseinandersetzung zwischen Bund, Korporation, Kanton und Gemeinde um dessen Finanzierung gegeben.
Elias Kreyenbühl versuchte in seiner Seminararbeit herauszufinden, weshalb Kunigunda Gartmann und Markarius Suppiger - obwohl sie gemeinsam ein Kind hatten - nicht heiraten durften. Bei seinen Recherchen stiess er auf folgenden Grund: «Markarius Suppiger war ein Auswärtiger und musste eine Heiratsbewilligung aus dem Kanton Luzern beibringen. Diese wurde ihm aber verweigert, weil er selber ein uneheliches Kind war und weder Heimat- noch Bürgerrecht besass. Zudem entzogen ihm die Behörden das Anrecht auf Armenfürsorge.»
Der Student fand heraus, dass diese traurige Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei weitem kein Einzelfall war. Viele Paare hätten zu dieser Zeit einen Fussmarsch ins Bündnerland, wo vorübergehend liberalere Gesetze herrschten, auf sich genommen. Zum Teil seien sie sogar bis nach Rom gepilgert, um direkt vom Papst getraut zu werden.

Europaweit einzigartiges Projekt

«Das Urserental hat nun ein saniertes Archiv und historische Arbeiten über seine Geschichte. Die Studierenden haben einen wertvollen Ausbildungseffekt erzielt. Unter dem Strich hat die schweizerische Geschichtswissenschaft einen entscheidenden Schritt gemacht, weil ein Regionalarchiv erschlossen und zudem mit regionalen Forschungen begonnen worden ist. Dieses Projekt ist nicht nur schweizweit etwas Neues, sondern sogar europaweit einzigartig, was mir das europäische Alpenforschungsinstitut bestätigt hat», hielt Projektleiter Professor Martin Schaffner fest. Er hofft nun, dass andere Unis durch das Basler Engagement einen Impuls erhalten und ähnliche Projekte in Angriff nehmen.
«Die Archivarien, die Quellen und damit die Überlieferung sind nun gesichert. Auch ist die Gefahr gebannt, dass Dokumente beschädigt werden oder gar verloren gehen, weil niemand zu ihnen schaut. Zudem ist durch das Archivieren und Erschliessen quasi eine objektive Festplatte des Gedächtnisses' geschaffen worden. Via die Findmittel kommt man nun objektiv zu den Quellen und ist nicht mehr auf ein individuelles Gedächtnis angewiesen», sagte der Urner Staatsarchivar Rolf Aebersold zur Bedeutung des Urschner Projekts.
Das Gedächtnis der Gesellschaft sei nun unabhängig von Personen, was letztlich den objektiven Zugang zur Geschichte erlaube. Erfahrungsgemäss werde mit einer gewissen zeitlichen Distanz zur Vergangenheit nicht mehr alles richtig eingeschätzt. Deshalb sei es wichtig, Quellen so aufzubewahren, dass ein neutraler Zugang zu den Originalen gewährleistet sei und so die Möglichkeit geschaffen werde, eine Interpretation vorzunehmen.

Urs Hanhart


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