Das Ehepaar Dieter und Lore Peter aus Leverkusen sitzt auf dem Bänklein vor dem weltberühmten Wassner Kirchlein. Was sie davon halten sollen, dass das Gotteshaus rot eingehüllt ist, darüber sind sie sich nicht so ganz im Klaren. Aber das ist ja nur für eine ganz kurze Zeit.
Wassen in MiniaturDieter und Lore Peter sind nicht gewöhnliche Touristen. Sie sind ausgewiesene «Wassen-Kenner». Der Grund: Bei ihnen zu Hause steht ein 9 Meter langes und 1,8 Meter breites Modell der Gotthardbahn-Nordrampe. Während rund zehn Jahren haben sie dieses gebaut, zwischen 5000 und 10 000 Arbeitsstunden insgesamt investiert. Jährlich reisen die beiden zweimal in die Schweiz und statten jedes Mal dem Dorf am Eingang zum Meiental einen Besuch ab. Dabei fotografieren sie jeweils Bauwerke und Landschaften und bauen mit Hilfe von Plänen an ihrem Modell; Lore Peter die Landschaft, Dieter Peter alles Technische, Rampen, Häuser et cetera. Das Know-how hierzu haben sie sich bei den Eisenbahn- und Modellbaufreunden Luzern (EMBL) angeeignet, wo sie Mitglieder sind. Die Anlage ist eigentlich fertig, doch immer wieder gibt es eine Kleinigkeit auszubessern. Etwas fehlt jedoch auf dem Modell: die Autobahn! Diese nimmt in der Realität genug Platz ein und hat in der Miniaturwelt der Peters nichts verloren!
Gamma-Baumann oder umgekehrtDieter und Lore Peter sind gesellige Leute. Sie haben keine Mühe, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. So hatten sie vor ihrer jüngsten Reise in die Schweiz kurzerhand telefonisch und brieflich beim Wassner Kirchenratspräsidenten um ein Treffen gebeten. Am Samstag, 8. September, um 11.00 Uhr seien sie beim Kirchlein. Dass dann gleich zwei Herren bei der Kirche auf das Ehepaar warten, sorgt für Erheiterung. Das Telefongespräch hatte Dieter Peter mit dem aktuellen Kirchenratspräsidenten Konrad Gamma-Baumann geführt, der Brief jedoch ging an dessen Schwager und Kirchenratspräsident-Vorgänger Kaspar Baumann-Gamma ...
Jahrzehntelange BegeisterungDie Begeisterung für die Gotthard-Bahnstrecke dauert schon über 45 Jahre. Anfangs der Sechzigerjahre fuhr das Paar mit seinem alten VW-Bus von Leverkusen an die Riviera und machte beim Verkehrshaus in Luzern Halt. Vom dort ausgestellten Modell der Gotthard-Nordrampe waren sie dermassen fasziniert, dass sie auf ihrer Weiterfahrt in Wassen anhielten und sich die attraktive Streckenführung in Natura ansahen. «Seither sind wir mit dem Gotthardbahn-Virus infiziert», sagt Dieter Peter.
Mit dem Bau der Anlage starteten Lore und Dieter Peter im Jahr 1983. Bis heute entstand ein einzigartiges Modell, das ungefähr den Ausbauzustand der Gotthardbahn im Jahr 1990 widerspiegelt. «Unsere Anlage beginnt beim Mühletunnel, führt über untere Meienreussbrücke, Kirchbergtunnel, Wattingertunnel, Bahnhof Wassen, mittlere Meienreussbrücke, Leggisteinkehrtunnel, obere Meienreussbrücke, Kellerbachbrücke, Rohrbachbrücke bis zum Naxbergtunnel», sprudelt es aus Dieter Peter hervor. Konrad Gamma bleibt nur das Staunen ob so detaillierter Ortskenntnis. Doch auch er kann mit eisenbahntechnischem Wissen aufwarten: Er arbeitete während Jahren bei der Gotthard-Eisenbahn im Stellwerksdienst. Dass Dieter Peter über diese Neuigkeit entzückt ist, versteht sich von selbst.
Hoffen und betenAm Jubiläum wird nicht nur Rückschau gehalten. Man macht sich auch Gedanken über die Zukunft. Durch den Bau der Neat ist der Fortbestand der Gotthardbahn-Bergstrecke ungewiss. «Die Erfahrung lehrt uns, dass alles, was nicht mehr dringend gebraucht wird, plattgemacht wird», hält Dieter Peter fest. «Wir können nur hoffen und beten, dass die schöne Gotthardstrecke erhalten bleibt.» Es gebe aber Grund zur Hoffnung. Einerseits sei das in eine herrliche Landschaft eingebettete Wunderwerk der Technik touristisch interessant, andererseit brauche es eine Ausweichstrecke, falls im Neat-Tunnel einmal eine grössere Störung auftreten sollte. Auch Konrad Gamma ist zuversichtlich. Noch am Freitag habe SBB-CEO Andreas Meier in Erstfeld verlauten lassen, dass die Gotthardstrecke erhalten werden soll. «Was man von diesem Versprechen halten soll, wissen wir heute nicht.»
«Wir kommen wieder»Doch auch die Zukunft der Bahnfans ist offen. Es gibt immer weniger Leute wie Lore und Dieter Peter. Zwar verzeichneten Modelleisenbahnklubs dank intensiver Nachwuchsförderung immer wieder Neumitglieder, doch trotzdem gebe es einen langsamen, stetigen Mitgliederrückgang. «Früher spielten die Kinder mit Bauklötzen, mit der Modelleisenbahn oder im Sandkasten. Heute ist das Angebot unendlich grösser», begründet Dieter Peter diese Entwicklung.
Das Gespräch bei der Wassner Kirche findet seinen Abschluss mit einem Apéro bei Konrad Gamma. «Bereits im Oktober kommen wir wieder», versprechen die deutschen Gäste. Danach gehts zurück nach Erstfeld. «Mal schauen, was das 125-Jahr-Jubiläum zu bieten hat!»
Das Schweizer Modellbahnfreunde-Magazin «Loki», berichtet in der Ausgabe vom 28. September über Dieter und Lore Peters Anlage.
Markus Arnold