«Untergrund: Dieses Wort bezeichnet einerseits eine geografische Gegebenheit - das unter dem Boden sich Befindende - es besitzt aber insbesondere auch eine metaphorische Bedeutung und ruft hier die gegensätzlichen Assoziationen von Schutz und Geborgenheit gegenüber Verbotenem und Erschreckendem hervor», erklärt Sylvia Rüttimann, die Kuratorin der Ausstellung. Das Haus für Kunst Uri, ganz in der Nähe des Gotthards, «dem wohl berühmtesten Untergrund der Schweiz gelegen», meint die Kuratorin, spürt zum Jubiläum «125 Jahre Gotthardbahn» der Faszination des Unterirdischen im künstlerischen Sinn nach. Und gerade hier erweitere sich das neutrale und vorwiegend technisch interessante «Loch im Boden», der Keller, die Kanalisation, der Tunnel oder der Bunker, zum Ort mit verschiedenen, oft zweideutigen Interpretationsmöglichkeiten.
Das Konzept der Ausstellung stammt noch von Peter Stohler, dem ehemaligen Direktor des Hauses für Kunst Uri. Zur Ausstellung «Im Untergrund» ist auch ein Buch erschienen. Gestern Freitag, 29. Juni, fand die Vernissage statt. Der Gang durch das Haus ...
Im GartenDen Anfang der Ausstellung macht ein Werk ausserhalb des Hauses. Schaut man genau auf das Rasenstück rechts vor dem Eingang, bevor man eintritt, bemerkt man, dass sich dieses in einem regelmässigen Rhythmus hebt und senkt. Eva Baumann hat das rätselhaft-poetische Werk mit dem Titel «Wenn es hier wär» erschaffen. Aber was, fragt man sich, ist es, das hier sein könnte? Warum bewegt sich die Erde? Atmet sie? - Ihr Werk irritiert.
Im ErdgeschossWilliam Kentridge aus Südafrika gehört heute zu den wichtigsten zeitgenössischen Künstlern. Das Interessante an seinem Werk ist, dass er visuelle Kunst, Literatur, Theater und Film auf seine ganz eigene Art verbindet und mit ihnen die politischen Missstände seines Landes thematisiert. «Mine» stammt aus der Serie der «Projected Drawings», entstanden 1989 bis 2003. Es handelt sich um animierte Zeichnungen. William Kentridge hat Kohlenzeichnungen immer wieder durch Ausradieren und Zeichnen verändert, gefilmt mit einer alten 16-mm-Kamera. Subtil dargestellt, erkennen wir den politischen Hintergrund Südafrikas, Business und Ausbeute, Weiss und Schwarz, Unterdrückung und Macht. Der Untergrund wird so zur Metapher.
Auch Rudolf Steiner geht es um die Gegenüberstellung von Gegensätzen. Seine Videoarbeit erscheint äusserst einfach: Auf einer schwarzen Fläche tanzt ein weisser Punkt, der langsam grösser wird und sich dann als Tunnelausgang zeigt. Rudolf Steiner hat ganz einfach gefilmt, als er durch einen Tunnel lief. Das Licht am Ende des Tunnels oder die Angst?
Lena Huber inszeniert in ihren Fotografien Landschaften, die den Blick auf Höhlen und Verstecke freigeben. Man weiss zwar nicht genau, worum es geht, es handelt sich aber um Kinderspiele irgendwelcher Art. Man sieht Jugendliche, die aus unterirdischen Eingängen und Verstecken gucken, die unter Brücken stehen, sich auf dem Dachboden tummeln. Verbotene Spiele?
Tatsächlich gehört zum Untergrund das Gegenstück: der Himmel, der Berg. Bernhard Huwiler ist ein Künstler, der Landschaften erkundet, indem er sie selber beschreitet. Eine seiner Reisen führte ihn zum Munt la Schera im Engadin, unter dem ein Tunnel durchführt. Wie «Himmel und Hölle» klingt diese Zusammenstellung, und vielleicht heisst der Gipfel gleich gegenüber nicht ganz ohne Zufall Cima Paradiso. In unserer christlichen Tradition hat der Gang von unten nach oben eine klare Bedeutung: Man schreitet durch die Hölle zum Paradies und Göttlichen. Bernhard Huwiler bezieht sich auf den literarischen Hintergrund von Dante Alighieris «Divina Commedia».
In der HalleGleichzeitig zum Bau der Bundesratsbunkeranlage K20 entstand K20-B als identische Kopie. Das unterirdische Gangsystem gilt seither mitsamt dem ausführenden Ingenieur als verschollen. Sandro Steudler baute vor Ort einen «Findling», der sich gleichzeitig als Skulptur und Architekturfragment des realen Baus versteht. Und in Form einer kleinen Versuchsanordnung im Innern wird die Funktion als gesamter Lichteinlass demonstriert. Die Arbeit «L-Beam» verbindet nicht nur innen und aussen, sondern auch unten und oben. Sandro Steudler wirft so erneut die Frage nach der Grenze der Arbeit und des Raumes auf, in dem wir uns befinden.
Im ObergeschossDie Beschäftigung mit dem Gotthard und dem Tunnelbau kommt in den Arbeiten des Lausanner Fotografen Milo Keller zum Zug. In seiner Arbeit «AlpTransit» wendet er sich menschlichen Konstruktionen zu, die in ihrer Grösse unmenschlich wirken.
Für das einstündige Werk «Kanalvideo» verwenden Peter Fischli und David Weiss bereits existierende Aufnahmen, die vom Kanalüberwachungsdienst in Zürich gefilmt wurden. Peter Fischli und David Weiss arbeiten mit Gegenständen und Situationen aus dem banalen Alltag. Es sind Bilder, die bewusst eine gewisse «Zufälligkeit» beinhalten. Dem Abwasserkanal haftet sowohl eine magisch befremdliche Schönheit, als auch das Empfinden klaustrophobischer Enge an.
Auch Hans Schabus macht in seinem Video «Western» die Kanalisation, diesmal die in Wien, zum Schauplatz. Zu Berühmtheit kam sie durch den Film «Der dritte Mann». Wenn man den Titel ernst nimmt, vielleicht auch zu erobern, wie früher den Wilden Westen: In einem kleinen Boot segelt der Künstler durch die Kanäle.
Historisch zu verordnende Untergründe sind das Thema in Guido Guidis Serie «Bunker - Along the Atlantic Wall». Während vier Wochen reis-te er durch Frankreich, Belgien, die Niederlande, Norwegen und Dänemark, auf den Spuren des 6000 Kilometer langen Atlantikwalls, einem zwischen 1939 und 1944 durch die Deutschen erstellten militärischen Verteidigungssystem mit rund 12 000 Bunkern. Dabei fokussiert er auf die Befestigungen. Als erprobter Flaneur sieht er sie auch als Teil des Naherholungsgebietes und der Landwirtschaftszone.
Eine metaphorische, aber auch politische Bedeutung hat der Untergrund bei Tiziana De Silvestro. Die Fotografin benutzt ihn im übertragenen Sinn. Sie konfrontiert uns mit Porträts, die jedoch nur als verschwommene, hinter Brillen versteckte Schemen erkennbar sind. Vermummte Personen? Politische Agitatoren, vor denen wir uns fürchten müssen? Oder ganz harmlos? Diesen Porträts stellt sie dasjenige einer jungen islamischen Frau mit Schleier entgegen. Gerade der Schleier bedeutet für uns Europäer oft eine Bedrohung, eine Art Abtauchen in den Untergrund. Die Frau jedoch sperrt ihre Augen weit auf. Ist sie viel weniger bedrohlich als die blicklosen Brillenträger?
Seit Jahren begibt sich die Bratschis-tin Charlotte Hug in die unterschiedlichsten Untergründe, in die Katakomben von Paris, in das House of Detention in London, in den Rhonegletscher oder in einen halbgesprengten Bunker von Berlin. Sie lotet das mit ihrem Instrument aus. Es ist die physische Beschaffenheit dieser Räume, die ihre Improvisationen beeinflusst. Die Klänge haben je nach Raum eine ganz andere Qualität. Kälte und Feuchtigkeit verändern das Spiel genauso wie die Stille. Andererseits ist die psychische Komponente der unterirdischen Räume gerade so wichtig. Beim Untergrund ist Charlotte Hug fasziniert von der Zweideutigkeit des Ortes, seiner Assoziation von Schutz und Bedrohung, Natur und Künstlichkeit. Das Resultat ihrer Raumbegehungen ist einerseits die Klangperformance, andererseits entstehen Zeichnungen, die sogenannten «Son-Icons», die wie japanische Schriftrollen von der Decke in den Raum hängen. Mit beiden Händen und vier Stiften gleichzeitig zeichnet Charlotte Hug die Klänge, die sie im Untergrund umgeben.
Mit Claudio Fäh und Marianne KusterClaudio Fähs Kurzfilm «Kilometer 11» bringt uns zurück zum Gotthard und zum Schrecken, der oft mit dem Tunnel verbunden wird. Berühmt in dieser Beziehung ist natürlich Friedrich Dürrenmatts «Der Tunnel», der die Angst, im Dunkeln stecken zu bleiben, zu Wort bringt. Das Frühwerk des Urner Regisseurs nimmt diesen Faden auf und spinnt ihn auf ironisch-dramatische Weise weiter, indem er eine junge Frau in den Gotthard schickt, Richtung Süden. Bei Kilometer 11 bleibt sie stecken, und ihr Alptraum beginnt. Und Marianne Kuster lädt im Lift des Hauses zur Fahrt ins Blaue ein. Ganz harmlos?
Erich Herger