Zum 75-jährigen Bestehen lädt die Neuapostolische Gemeinde Erstfeld die Urner Bevölkerung heute zum «Tag der offenen Tür» und morgen Sonntag, 19. August, zum Festgottesdienst ein. Die öffentlichen Feierlichkeiten beginnen heute Samstag um 14.00 Uhr mit Musik und geführten Rundgängen durch die Räumlichkeiten der Kirche.
Obwohl die Neuapostolische Gemeinde Erstfeld über 100 Personen zählt, dürfte sie den wenigsten Urnerinnen und Urnern wirklich bekannt sein. Ihre Kirche vereinigt weltweit 11 Millionen Gläubige, wovon 35 000 in der Schweiz leben. Beat Riesen sieht sich nicht als Missionar, der mit dem «Tag der offenen Tür» Seelen für seine Gemeinde gewinnen will. Vielmehr ist das 75-Jahr-Jubiläum seiner Gemeinde eine gute Gelegenheit, nach aussen zu treten und der Bevölkerung zu zeigen, wie die Kirche in Erstfeld lebt und wirkt. «Wir sind auch ganz normale Menschen mit Sorgen und Nöten. Wir nehmen einfach die Bibel ernst und versuchen, Jesus im Sinne der Apostel zu folgen.» Beat Riesen, 51-jähriger Bankkaufmann aus Immensee, ist Gemeindepriester oder Gemeindeapostel. Er war Diakon, heute ist er der Vorsteher der Neuapostolischen Gemeinde Erstfeld. Seine Kirche kennt keine Ausbildung im eigentlichen Sinne. Es sind alles Laien, die das Amt im Nebenberuf ausüben. Einzig der Stammapostel in Zürich, der die Gesamtkirche leitet, ist vollamtlich tätig. Zurzeit ist das Wilhelm Leber aus Hamburg. Die Gemeinde Erstfeld ist dem Bezirk Luzern unterstellt. Auch die Neuapostolische Kirche hat mit dem Nachwuchs Sorgen. Er selber kam vor 15 Jahren zur Aushilfe nach Erstfeld, und er ist hier hängengeblieben. Erstfeld gefällt ihm sehr gut.
Vom Trümpyhaus zur eigenen KircheDas erste Samenkorn brachte ein Urner namens Jauch von Zürich-Oerlikon nach Uri, indem er seine Schwester Sophie in die Gemeinschaft bat. Noch einige Jahre reisten die ersten Seelen von Uri nach Zürich zu den Gottesdiensten. Von 1932 an fanden im Heim der Geschwister Brücker, dem sogenannten Trümpyhus, regelmässig Gottesdienste statt. 1934 wurde Diakon Emil Brücker Priester und erster Vorsteher der Neuapostolischen Gemeinde Erstfeld. Diese umfasste damals 32 Geschwister. Sophie Kronenberg (88), geborene Brücker, lebt noch heute in der Gemeinde Erstfeld. Da der Platz für die 100-Seelen-Gemeinde zu knapp wurde, begann man 1944 mit dem Bau einer eigenen Kapelle, und zwar an der Leonhardstrasse in Erstfeld. 1981 erfolgte die erste Renovation, und ein Jahr später wurde das 50-jährige Bestehen mit einem «Tag der offenen Tür» gefeiert. 2002 ging die 24-jährige Vorsteherschaft von Günter Preisser zu Ende. Ihm folgte Beat Riesen.
Auf keinen Fall missionierenBeat Riesen will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, Leute missionieren zu wollen. Sein Ziel ist es, der Bevölkerung die Neuapostolische Kirche näherzubringen. Nur wenig unterscheide sie von den beiden Landeskirchen, sagt Beat Riesen. Grundlage sei das Evangelium. Anstatt der sieben Sakramente bei den Katholiken und der zwei bei den Reformierten gebe es in der Neuapostolischen Kirche nur drei. Die Priester oder Apostel sind alles Laien, welche die Seelsorge, die Gottesdienste und andere karitative Aufgaben übernehmen. Die Akzeptanz und gegenseitige Wertschätzung bezeichnete Beat Riesen als sehr gut. Von beiden Landeskirchen Uris werden Abordnungen an den Feierlichkeiten dabei sein. Der Gemeindevorsteher hofft aber, dass viele Leute aus der Bevölkerung die Gelegenheit nutzen werden, einmal der Neuapostolischen Kirche einen Besuch abzustatten. Die Jubiläumsfeier wird von einem Bläserensemble, einem Chor und einem Orchester begleitet. Es gibt geführte Rundgänge durch die Räumlichkeiten der Kirche. Das öffentliche Programm von heute Samstag, 18. August, beginnt um 14.00 Uhr.
Grösste Ausbreitung in Afrika«Auch wenn sich in der Neuapostolischen Kirche Menschen aus allen Schichten befinden, spricht sie doch das einfache Volk besonders an», erklärt Beat Riesen. In Afrika habe sie daher die grösste Ausbreitung. Früher hiess die Kirche noch Katholisch-Apostolische Kirche. Es wurde auch die Missionsidee ernster genommen, was sie oft mit den «Stündelern» in Verbindung brachte. Heute geht kaum noch jemand von Tür zu Tür. Wer sich aber in der Gemeinschaft wohlfühlen sollte, wird gerne in die Gemeinde aufgenommen. Zum Unterhalt gilt immer noch der in der Bibel geforderte zehnte Teil des Einkommens. «Manchmal ist auch weniger im Opferstock», meint Beat Riesen. Ökumene wird grossgeschrieben, und auf die Äusserungen des Papstes reagiert Beat Riesen gelassen: «Er hat seine Meinung und wir die unsere.»
Robi Kuster